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Reputation und Vertrauen, eine Tagung in der Reihe Normative und institutionelle Grundlagen der Ökonomik

Tagungsbericht von Cornelia Becker

 

Vertrauen und Reputation sind zentrale Elemente des marktlichen Austauschs und anderer Interaktionsstrukturen, wenn Vertrauen verloren geht, können Institutionen zerfallen.

 

So hieß es in der Einladung zur Tagung Reputation und Vertrauen, eine Tagung in der Reihe Normative und institutionelle Grundlagen der Ökonomik.

 

Die Tagung fand vom 10.03.04 bis 12.03.04 in der evangelischen Akademie Tutzing statt. Unter den Teilnehmern waren außer Vertretern der Wirtschaftswissenschaften auch Vertreter anderer Disziplinen wie Psychologie, Soziologie, Geographie und Recht sowie Unternehmensberater. Das Thema Vertrauen ist nicht zu unrecht für vielerlei Bereiche interessant. Daher ist der Anspruch der Veranstalter, eine interdisziplinäre Diskussion anzustreben, sehr zu begrüßen. Dieses Ziel sollte auch dadurch erreicht werden, dass Ansätze aus anderen Disziplinen in die ökonomische Theorie einbezogen werden sollten, anstatt ökonomische Konzepte weiter auszudehnen. Ein hohes Ziel, das nur erreicht werden kann, wenn die Ökonomie, insbesondere die Institutionenökonomie dazu bereit ist, andere Konzepte und Ansätze nicht nur neben den eigenen gelten zu lassen, was schon schwer genug zu fallen scheint, sondern auch in der Lage ist, sie gedanklich zu integrieren. Das Programm der Tagung war vielversprechend vielseitig angekündigt. Bart Noteboom von der Erasmus Universität Rotterdam führte umfassend in das Thema ein. Friedrich Sell von der Universität der Bundeswehr München versprach, in seinem Vortrag konkreter zu werden, löste es aber leider nicht ein, Eher explorativ in der Vorgehensweise schränkte er den Vertrauensbegriff als Erkenntnisobjekt und Phänomen (Wo verwenden wir Vertrauen in der Sprache?) schließlich auf die Konzepte Investition, Konsumgut und Produktionsfaktor ein, um es von ähnlichen Begriffen wie Kooperation, Glaubwürdigkeit und Optimismus abzugrenzen. Er wies auf den Zusammenhang zwischen Vertrauen und Organisationsform hin, wobei er feststellte, dass die Entstehung von Vertrauen für Ökonomen weniger interessant ist als dessen Erhaltung für stabile Beziehungen zur Minimierung des unternehmerischen Risikos. In der Diskussion wurde Vertrauen für massenhaftes Verhalten als stabilisierender Faktor akzeptiert, es wurde allerdings in Frage gestellt, ob es notwendig und sinnvoll ist, Vertrauen als Investitionsgut zu beschreiben oder nicht vielmehr ein externer Effekt betrachtet werden sollte. Stephan Panther von der Universität Flensburg definierte Vertrauen als Erwartung, dass ein Akteur motiviert ist, sich kooperativ zu verhalten. Institutionen brauchen seiner Ansicht nach generalisiertes Vertrauen, weil Normen unvollständig sind. Kooperationsnormen bauen auf Ehrlichkeit und Fairness auf, Versprechen müssen gehalten werden. Hierbei ergänzen sich Vertrauen und Sanktionsmöglichkeiten. Vertrauen als moralische Ressource hat den Vorteil, dass sie sich durch Gebrauch nicht abnutzt. In der Diskussion wurde thematisiert, ob der Begriff Vertrauen überhaupt nötig ist, um kalkuliertes Risiko oder strategische Größen zu umschreiben. Es konnte keine Einigung darüber erzielt werden, ob Vertrauen ein rationales Kalkül oder eine spontane Gefühlshaltung ist. Institutionen könnten nach Meinung einiger Teilnehmer Vertrauen auch komplett substituieren.

 

Zu diesem Punkt eröffnete Hartmut Esser von der Universität Mannheim neue Perspektiven. Seiner Ansicht nach wird Vertrauen als mentales Modell im Verlauf des Lebens durch Sozialisation verankert. Ohne weiter auf das Thema Vertrauen einzugehen, stellte Esser das Modell der Frame Selektion vor. Nach Esser besteht das Problem der Typisierung des Handelns nicht in der Entscheidung zwischen eine normativen Logik der Angemessenheit und der rationalen Kalkulation sondern bzw. der Entscheidung für einen Handlungstyp sondern darin, den Wechsel zwischen verschiedenen Handlungslogiken bei einem Individuum zu erklären. Voraussetzung ist die Annahme einer begrenzten Rationalität und der Reflexionsfähigkeit des Individuums. Grundsätzlich aktiviert das Wiedererkennen von Mustern Handlungsroutinen in einem nicht kontrollierbaren Vorgang. Eine rationale Durchdringung findet erst dann statt, wenn ein Mismatch vorliegt, was bedeutet, dass kein Muster erkannt werden kann. Das Mismatch führt auch dann erst zu einer Handlungsänderung, wenn die Motivation groß genug, die Opportunität vorhanden und der Aufwand gering genug sind. Die Modellannahmen sind geeignet, um je nach Match und Anreizstrukturen Handlungen zu prognostizieren.

 

In welchen stilisierten Situationen Vertrauen nun konkret vorteilhaft ist, zeigte Simon Gächter von der Universität St. Gallen anhand der Ergebnisse aus zahlreichen Experimenten der Wirtschaftsforschung, die die Eigennutzhypothese widerlegen. In vielseitigen Spielsituationen lässt sich Vertrauen genauso wie Vertrauenswürdigkeit signifikant nachweisen. Kommunikation und Reputation verstärken das Vertrauen. Ein sehr deutlicher Effekt, der durch die experimentelle Gestaltung gezeigt werden kann, ist der Verstärkungseffekt von Vertrauen durch strategische Anreize. Egoisten verhalten sich dann kooperativ, wenn sie einen Vorteil darin erkennen. Ähnlich überzeugend ist das Ergebnis, dass Vertrauen sich für Unternehmer in Arbeitnehmer-Arbeitgebersituationen auszahlt. Die Vertrauenswürdigkeit erhöht sich dann, wenn es Bonus für Leistung anstatt Strafen für Nichtleistung gibt.

 

Die Diskussion ging auf die Frage ein, ob Verträge grundsätzlich unvollständig sein müssen und wo Vertrauen wirklich gebraucht wird. Von manchen wurde der Einfluss der experimentellen Forschung auf die Institutionenökonomik bezweifelt. Zudem wurden die simplifizierenden Situationen in ihrer Aussagekraft kritisiert, da die Interaktionsstrukturen auch das Verhalten bestimmt. Komplexere Experimente, in denen Verhandlungsmacht ersteigert werden muss und Kooperationsgewinne nicht einfach vom Himmel fallen, nähern sich im Ergebnis dem Nash-Gleichgewicht. Insgesamt bleibt jedoch festzuhalten, dass die Experimente nach traditioneller Wissenschaftslogik sowohl helfen, Hypothesen aufzustellen als auch unter kontrollierten Bedingungen zu überprüfen.

 

Linda Pelzmann von der Universität Klagenfurt kam schließlich zu dem Problem der Vertrauenswürdigkeit im Top-Management. Voraussetzungen dafür sind stabile Rahmenbedingungen, bekannte Regeln für die Beziehung und Menschen, die sich an die Regeln halten. Jedoch müsse man zwischen verschiedenen Beziehungsstrukturen unterscheiden, da sie auch die Definition der Situation bestimmen. Entgegen der gängigen Meinung, dass Vertrauen Kontrolle ersetzt, verdeutlichte sie, dass Vertrauen und Kontrolle sich in Führungspositionen gegenseitig bedingen. Kontrolle meint in diesem Zusammenhang ein geeignetes Rückversicherungssystem, um Fehler frühzeitig zu erkennen. Da die Macht in Führungspositionen des Topmanagements groß ist, muss nach der Methode der critical incidents lange vorher beobachtet werden, wie mit Fehlern umgegangen wird.

Auch Maren Jochimsen aus Bonn ging auf das Vertrauen in einer speziellen Beziehungsstruktur ein. Für eine klassische Sorgessituation stellte sie spezielle Charakteristika fest, die den Vergleich mit einer Tauschsituation nicht ermöglichen. Die extrem asymmetrische Beziehung ist gekennzeichnet von Abhängigkeiten und der eingeschränkten Handlungsfähigkeit einer Person von der anderen, in der keine Gegenleistung erwartet werden kann. Hier ist keine Marktstruktur erkennbar, es findet ein Einwegtransfer statt. Das Schlüsselkonzept, das nach Meinung von Frau Jochimsen schwer in die Ökonomie integrierbar ist, ist die Motivation der sorgenden Person, die nicht eigennützig handelt. Der Erfolg dieses Schlüsselkonzeptes ist das Gefühl der menschlichen Wärme, das als integratives Produkt mit gesellschaftlicher Bedeutung bezeichnet werden kann.

 

Torsten Straub von der Fachhochschule für Wirtschaft in Berlin schließlich ließ keinen Zweifel daran, dass Vertrauen in das Recht nicht möglich ist. Eine Art Paradoxon besteht, da Rechtssicherheit nur dann existiert, wenn der Rechtsweg offen gehalten wird, also Rechtsunsicherheit herrscht. Das heisst, nur der formale, nicht aber der inhaltliche Ausgang eines Rechtsstreits darf vorher vorhersehbar sein. Er ist erst das Ergebnis der Abwägung. In äußerst unterhaltsamer Weise stellte Straub bekannte Rechtsfälle vor, anhand deren er die Rechtsunsicherheit belegte. Er ging zudem auf das Verhältnis zwischen Hierarchie und Vertrauen ein. Seine etwas ungewöhnliche Definition beschreibt Vertrauen als eine den Vertrauensgeber enthemmende und den Vertrauensempfänger ermächtigende Verhaltensweise. Recht regelt, wer wem in welcher Situation vertrauen darf, wer nachweisen muss, dass er jemandem vertraute und wann Vertrauen eine fahrlässige Verhaltensweise darstellt.

 

Lucia Reisch von der Universität Hohenheim stellte verbraucherpolitische Implikationen anhand von Vertrauen in anonymen Transaktionen vor.

 

Der Höhepunkt der Tagung war aus meiner Sicht der Vortrag von Thomas Mackenbrock und Markus Sadison vom Wittenberg Center for Global Ethics. Inhaltlich und rhetorisch überzeugend haben sie dem Tagungstitel Existenzberechtigung verliehen, indem sie den Zusammenhang zwischen Vertrauen, Institutionen und mentalen Modellen herstellten. Sie legten dar, unter welchen Bedingungen Institutionen Vertrauen sowohl verstärken als auch erodieren können. Ausgangspunkte sind die zunehmende Bedeutung von sanktionsbewehrten Institutionen in unserer Gesellschaft, die Komplexität und Unvollständigkeit von Institutionen und die ständige Interpretation von Moral. Moral ist also keine feststehende normative Vorlage, sondern wird einer positiven Analyse unterzogen. Vertrauen kann als Interaktionsspielraum unvollständige Informationen überbrücken. Erosion von Vertrauen findet nach Meinung der Vortragenden dann statt, wenn mentale Modelle nicht mit den Institutionen übereinstimmen. Die Diskussion griff noch einmal die Schwierigkeit auf, ob es möglich ist, sich für Vertrauen zu entscheiden. Insgesamt stellten viele Teilnehmer der Tagung fest, dass Normen und Werte nicht formbar sein können und dass die Sicht der Vortragenden idealistisch sei. Dies ist allerdings auf den alten Streit zwischen normativen Menschenbildern und analytischen Verhaltensmodellen zurückzuführen. Konstruktiver ist in diesem Zusammenhang, nicht die Grundannahmen des ganzen Modells in Frage zu stellen, sondern die Definition von mentalen Modellen in Abgrenzung zu frames oder patterns anzuregen und über die Modellierung nachzudenken. Dann stellt der vorgestellte Ansatz eine Bereicherung der Sozialwissenschaften mit Hilfe ethischer Reflexion dar. Abschließend lässt sich festhalten, dass die Institutionenökonomik bei allen Schwierigkeiten der disziplinären Abgrenzung nicht umhin kommt, Konzepte aus anderen Disziplinen zu integrieren, um Vertrauen theoretisch und empirisch zu erfassen. Dazu ist es nicht notwendig, den Kindern neue Namen zu geben, es sei denn man hätte Schwierigkeiten damit, andere Disziplinen anzuerkennen. Über das Stadium, die einzig wahre Theorie finden zu wollen, sollten wir bereits hinaus sein. Truth is, what works and what can convince.

 

Cornelia Becker

 

Die Autorin hat selbst eine vertrauenstheoretische Studie auf Basis der Institutionenanalyse eines Finanzamts verfasst, die die Entstehung und die Funktion von Vertrauen speziell im Zusammenhang mit persönlichem Kontakt erklärt und mit Hilfe von Vertrauenstypen als geeignetes Instrument für den Umgang mit Steuerbürgern darstellt.

 

Link zur Studie